Einleitung: TikTok und die Vermarktung der Nische
TikTok hat sich zu einem digitalen Spielplatz entwickelt, auf dem selbst komplexe Themen wie BDSM in kurze, viralfähige Clips verpackt werden. Doch während einige Creator authentische Aufklärung betreiben, dominieren zunehmend pseudo-Doms das Bild: Männer in steifen Anzügen, albernen Lederhandschuhen und mit leerem Gerede, das mehr an schlechte Seifenopern als an echte BDSM-Praxis erinnert. Hinter dieser Fassade verbirgt sich ein toxischer Mix aus Missinformation und Kommerz – ein Problem, das nicht nur Neugierige verwirrt, sondern die gesamte Szene stigmatisiert.
Das Phänomen der Pseudo-Doms: Stil über Substanz
Ästhetik als Maskerade
Die Inszenierung dieser „Doms“ folgt einem klaren Muster: glänzende Anzüge, die an Geschäftsmänner aus den 80ern erinnern, übertrieben glänzende Lederhandschuhe (meist aus dem Billigsegment) und eine Kamera-Perspektive, die Machtgehabe betonen soll. Die Handschuhe, eigentlich ein Symbol für Handwerk und Präzision in der BDSM-Szene, werden hier zum lächerlichen Accessoire degradiert. Es geht nicht um Funktion, sondern um Optik – ein Trend, der Substanz durch Oberflächlichkeit ersetzt.
Inhaltsleere als Geschäftsmodell
Die Videos drehen sich oft um pseudophilosophische Monologe („Ein wahrer Dom kontrolliert jeden Atemzug!“) oder inszenierte „Dominanzgespräche“, die mehr an peinliche Pornoscripte als an echte Kommunikation erinnern. Kernprobleme wie *Konsens, *Grenzen oder Nachsorge (Aftercare) werden ausgeblendet. Stattdessen wird ein Machtfetisch zelebriert, der reale Dynamiken verzerrt.
Beispiel: Ein Creator fordert in einem Clip „absolute Unterwerfung“, ohne jemals das Wort Safeword zu erwähnen. Kommentare wie „Wo lernt man das?“ bleiben unbeantwortet – denn das Ziel ist nicht Aufklärung, sondern Engagement.
Warum das gefährlich ist: Von Missinformation zu monetärem Schaden
1. Fehlende Aufklärung über SSC und RACK
In der echten BDSM-Szene gelten Grundsätze wie Safe, Sane and Consensual (SSC) oder *Risk-Aware Consensual Kink (RACK). Jede Interaktion basiert auf ausführlichen Verhandlungen, klaren Grenzen und Verantwortung für den Partner. Pseudo-Doms ignorieren diese Prinzipien komplett. Stattdessen wird Dominanz als *kontrolldürstiges Spektakel verkauft – eine Botschaft, die vor allem junge, unerfahrene Zuschauer*innen in riskante Situationen führen kann.
2. Trivialisierung von Macht und Verantwortung
Echte Dominanz bedeutet, Verantwortung zu übernehmen – für die Sicherheit, die Emotionen und die Grenzen des Gegenübers. Auf TikTok wird dies auf billige Machtspielchen reduziert. Videos, in denen „Regeln“ ohne Kontext diktatorisch verkündet werden, vermitteln: Unterwerfung = blindes Folgen. Dieses Narrativ ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, da es toxische Beziehungsmuster legitimieren kann.
3. Algorithmen belohnen Sensation statt Substanz
TikToks Algorithmus priorisiert Inhalte, die schnell Aufmerksamkeit erregen – egal wie oberflächlich. Ein Video mit dramatischer Musik und autoritärem Gebaren geht viral; ein nüchterner Clip über Grenzsetzung wird kaum geklickt. Creator adaptieren daher bewusst übertriebene Darstellungen, um Reichweite zu generieren. Das Ergebnis: Eine Flut an nichtssagendem Content, der BDSM zur Karikatur macht.
4. Monetarisierung auf Kosten der Community
Hinter vielen Accounts stecken keine BDSM-Praktizierenden, sondern Influencer, die auf Trend-Hopping setzen. Hashtags wie #BDSM (über 12 Milliarden Aufrufe!) werden genutzt, um Followerzahlen und Werbedeals zu boosten. Die eigentliche Community – die auf Vertrauen, Respekt und Diskretion basiert – wird dabei instrumentalisiert.
Einblicke in die Praxis:
- Fake Dom-Kurse: Manche Creator verkaufen teure „Masterclasses“, in denen es mehr um Self-Promotion als um Wissen geht.
- Sponsoren-Deals: Lederhandschuh-Marken oder Fetisch-Shops kooperieren mit Accounts, die trotz offensichtlicher Ahnungslosigkeit „Empfehlungen“ aussprechen.
Die Folgen: Verwirrung, Stigma und zerstörtes Vertrauen
Neulinge im Dilemma
Jugendliche oder BDSM-Neugierige, die auf TikTok nach Informationen suchen, landen in einem Labyrinth aus Klischees. Fragen wie „Wie beginne ich sicher mit BDSM?“ werden mit inhaltsleeren Phrasen beantwortet. Ohne Aufklärung über Safewords oder Aftercare entstehen gefährliche Missverständnisse.
Fallbeispiel: Eine 19-Jährige denkt nach dem Konsum solcher Videos, Dominanz bedeute, „immer das Sagen zu haben“. In ihrer ersten BDSM-Erfahrung traut sie sich nicht, Grenzen zu setzen – mit traumatischen Folgen.
Stigmatisierung der Szene
Je mehr BDSM mit albernen Pseudo-Doms assoziiert wird, desto schwerer haben es seriöse Akteure, Aufklärungsarbeit zu leisten. Die öffentliche Wahrnehmung reduziert die Szene auf Leder und Lächerlichkeit – ein Rückschlag für jahrzehntelange Bemühungen um Entstigmatisierung.
Gegenstrategien: Wie man seriöse Inhalte erkennt – und warum Bildung der Schlüssel ist
1. Warnsignale für unseriöse Creator
- Keine Erwähnung von Konsens oder Safewords: Wenn ein „Dom“ nie über Grenzsetzung spricht, ist das ein No-Go.
- Fokus auf Ästhetik statt Praxis: Hochglanz-Outfits und inszenierte Machtposen sind oft leerer als ein Bond-Villain-Monolog.
- Aggressive Monetarisierung: Wer für grundlegendes Wissen Geld verlangt oder ständig Produkte bewirbt, hat selten das Community-Wohl im Sinn.
2. Empfehlenswerte Ressourcen
- *Bücher: *„Der aufrechte Gang“ von Matthias T. J. Grimme oder „Screw the Roses, Send Me the Thorns“ für praxisnahe Einblicke.
- *Workshops: Veranstaltungen von etablierten Communities bieten sichere Lernräume.
- *Podcasts: Seriöse Formate wie *„Loving BDSM“ betonen Kommunikation und Sicherheit.
3. Community-Building abseits von TikTok
Echte BDSM-Communities existieren oft im Verborgenen – aus gutem Grund. Plattformen oder lokale Stammtische ermöglichen Austausch auf Augenhöhe. Hier geht es nicht um Klicks, sondern um Vertrauen und gegenseitige Unterstützung.
Fazit: BDSM ist kein TikTok-Trend – es ist eine Kultur des Respekts
Die kommerzielle Ausbeutung der BDSM-Szene durch pseudo-Doms ist kein Kavaliersdelikt. Sie verwischt die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, gefährdet Neugierige und untergräbt den jahrzehntelangen Kampf der Community um Anerkennung.
Was tun?
- Kritisch hinterfragen: Nicht jeder Trend verdient Aufmerksamkeit.
- Bildung priorisieren: Bücher, Workshops und seriöse Foren bieten fundiertes Wissen.
- Community stärken: Unterstützt Creator, die Verantwortung lehren – nicht nur Lederhandschuhe verkaufen.
BDSM lebt von Vertrauen, nicht von Views. Lasst uns gemeinsam dafür sorgen, dass es so bleibt.
Hinweis: Dieser Artikel soll dazu anregen, Social-Media-Inhalte kritisch zu reflektieren. Bei Interesse an BDSM empfehlen wir den Besuch zertifizierter Workshops oder den Austausch mit erfahrenen Mentor*innen.