Erfahrungsbericht aus Sicht eines Paares
Wir sind ganz normale Menschen. Zumindest dachten wir das bis vor etwa einem Jahr. Drei Jahre Beziehung, gemeinsam durch Höhen und Tiefen, Lachen, Serienmarathons, IKEA-Schraubaktionen überlebt – also quasi alles. Sex war okay, ehrlich gesagt manchmal auch mehr als das, aber in letzter Zeit… naja. Sagen wir: routiniert. Vanilleeis ist ja auch lecker – aber irgendwann will man halt auch mal Karamell mit Chili und goldenen Streuseln probieren.
Es begann mit einem dieser Gespräche, die man eigentlich nie ernst meint. „Was wäre, wenn…?“ Ich weiß nicht mehr, ob es ein Film war oder ein Instagram-Post mit Halsband und High Heels, aber ich sagte: „Also irgendwie… ich glaub, ich würd mich gern mal fesseln lassen.“ Mein Partner schaute mich an, kurz überrascht, dann dieses leicht schelmische Grinsen: „Echt jetzt? Ich hätte gedacht, du wärst eher die, die fesselt.“ – „Pff, unterschätz mich nicht“, sagte ich, während mein Herz schon ein bisschen schneller schlug. Und damit war der Stein ins Rollen gebracht.
Was folgte, war eine Mischung aus kindlicher Neugier, peinlichem Gekicher und – zugegeben – einer Menge Google-Sessions bei Rotwein. Wir lernten Wörter wie „Dom“, „Sub“, „Switch“, „Aftercare“, „SSC“, „RACK“, „Safeword“ – was zuerst klang wie die Menükarte eines sehr merkwürdigen Restaurants, wurde nach und nach zu unserer gemeinsamen Geheimsprache. Und je mehr wir lasen, desto mehr dachten wir: Warum eigentlich nicht?
Unsere erste „Session“ war… sagen wir, ambitioniert. Wir kauften Fesselseil (in zartem Flieder, weil: Warum nicht?), eine Augenbinde und ein sogenanntes „Anfänger-Set“, bei dem schon beim Auspacken klar war, dass da jemand die Bedeutung von Qualität nicht ganz verstanden hatte. Aber wir waren mutig. Mein Partner wollte der Dominante sein, ich die Devote – zumindest für diesen Abend. Wir stellten Kerzen auf, schalteten leise Musik ein (Tipp: keine Playlist mit Werbung dazwischen, sehr stimmungskillernd) und atmeten tief durch.
Ich legte mich aufs Bett, ließ mich fesseln – wobei mein Partner so viele Knoten machte, dass er irgendwann selbst nicht mehr wusste, wo oben und unten war. „Ich glaub, ich hab deinen rechten Fuß an deinen linken Arm gebunden.“ – „Ich spür gar nichts mehr, aber das ist okay.“ – „Warte, ich hol die Anleitung nochmal!“ – romantisch war das nicht, aber wir lachten Tränen. Dann schafften wir es doch noch irgendwie, und für einen kurzen Moment war da tatsächlich dieses Gefühl von Ausgeliefertsein, Vertrauen, Spannung. Ich schloss die Augen, er strich mit der Feder (aus dem Anfänger-Set!) über meinen Bauch und fragte: „Alles gut?“ – „Mhm.“ – „Okay, ich glaub, ich kitzel dich einfach, bis du dein Safeword sagst.“ – „Ich hab noch keins!“ – „Dann jetzt: Banane?“ – „Nimm bitte was Würdevolles.“ – „Okay… Rosenkohl.“ – „Perfekt.“
So sahen unsere ersten Schritte aus: ein bisschen chaotisch, ein bisschen albern, aber auch irgendwie schön. Es ging uns nie darum, perfekt zu sein oder gleich wie ein Hochglanz-Fetischpaar auszusehen. Es ging darum, etwas gemeinsam zu entdecken. Und das taten wir. In kleinen Etappen, mit viel Lachen und auch mal mit einem fragenden „War das jetzt… gut?“.
Im Laufe der Monate wurden wir mutiger. Wir sprachen mehr über unsere Fantasien, über Rollen, die wir ausprobieren wollten. Manchmal wechselten wir. Ich war mal diejenige, die ihn fesselte – was zu dem Moment führte, in dem er sagte: „Du weißt, dass das nicht die richtige Seite vom Karabiner ist, oder?“ – „Stillhalten, du Rebell.“ Wir kauften besseres Spielzeug, testeten Flogger, Paddles, Gleitgel mit Chili (Fehler. Großer Fehler.) und fanden heraus, dass es nicht auf die Requisiten ankommt, sondern auf das Miteinander.
Und das war vielleicht die größte Überraschung: Wie viel wir durch BDSM über unsere Beziehung gelernt haben. Wir haben angefangen, mehr zu reden – wirklich zu reden. Über unsere Wünsche, Ängste, Grenzen. Nicht nur im Schlafzimmer, sondern auch darüber hinaus. BDSM zwang uns, ehrlich zu sein, verletzlich zu sein. Und ausgerechnet in dieser Verletzlichkeit wuchs eine neue Art von Nähe.
Natürlich gab es auch Pannen. Die Tür nicht abgeschlossen, als der Postbote klingelte – mein Partner im Halsband, ich in Korsage, wir rannten wie in Zeitlupe zur Gegensprechanlage. Oder das Mal, als wir vergessen hatten, das Fenster zu schließen, und der Nachbar danach sehr höflich, aber auffallend rot im Gesicht war. Oder der Abend, an dem wir Aftercare mit Pizza und Kuscheldecke auf dem Sofa machten, und ich in der Dom-Rolle sagte: „Und jetzt iss, Sklave.“ – und er vor Lachen fast die Pizza fallen ließ.
Und doch: Jede dieser Erfahrungen machte uns reicher. Nicht im materiellen Sinn – unsere Amazon-Bestellliste ist ein wilder Mix aus Seilen, Massageöl, Desinfektionsspray und Klettverschlüssen – aber emotional. Wir lernten, einander auf neue Weise zu vertrauen. Zu sehen. Wirklich zu sehen.
Heute sind wir immer noch nicht „Profis“. Und wir wollen es auch gar nicht sein. BDSM ist kein Wettbewerb. Es ist ein Tanz. Mal wild, mal sanft. Mal mit Lachtränen, mal mit Gänsehaut. Und für uns ist es zu einem Teil unserer Beziehung geworden – nicht das Zentrum, aber ein wunderschöner Nebenschauplatz.
Wenn uns heute jemand fragt, was BDSM für uns bedeutet, sagen wir: Entdecken. Vertrauen. Lachen. Und manchmal auch ein bisschen Nacktheit mit Stil. Es ist nicht düster oder verboten. Es ist ein Spielplatz für Erwachsene – mit Regeln, Respekt und ganz viel Raum für Nähe.
Manchmal, wenn wir zusammen auf dem Sofa sitzen, denke ich an unsere erste „Session“ zurück. An das fliederfarbene Seil, das wir nach einer Stunde entwirren mussten. An das Wort „Rosenkohl“. Und ich lächle. Nicht, weil wir alles richtig gemacht haben. Sondern weil wir gemeinsam gewachsen sind. Schritt für Schritt. Fessel für Fessel. Herz an Herz.
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